die Jahre vorbei geflogen sind…

blumenLiebe Tochter,

an dem Tag, als du geboren wurdest und in meinen Armen lagst, schien die Sonne heiß und unerbittlich auf die Menschen. Der Himmel war blau und ohne ein Wölkchen. Selbst der Wind war nur ein warmes Lüftchen, der nicht einmal die Schweißperlen der Geburt trocknen konnten. Dein Körper schmiegte sich direkt an meinen, diese Vertrautheit zwischen uns war von Anfang an da und blieb die letzten Jahre. Damals, am Tag deiner Geburt habe ich sofort gespürt, das es der Anfang eines Abschiedes war und das dieser sehr, sehr schmerzhaft werden wird.

Und heute ist wieder ein angenehmer warmer Tag. Nur leider ist die Zeit hierhin geflogen. Nun stehst du bald selber auf eigenen Beinen. Ich durfte dich deinen Weg begleiten, konnte dir zeigen wie man Worte in Sätze formt. Ich konnte dich aufmuntern von kleinen unbeholfenen Tapsen in großen, den Weg wissenden Schritten zu machen. Ich habe dir beigebracht, wie man durch Schwingen der Beine die Schaukel höher und höher bewegt. Wie man fangen spielt und das man sich nicht hinter die Finger verstecken kann. Wir haben gemeinsam gelacht, aber auch geweint. Wir hatten zusammen Angst vor Gewitter und haben uns unter die Bettdecke gehockt, damit uns das Gewitter nicht sieht. Auch viele kleine und große Gespenster durfte ich aus deinem Zimmer jagen.

Als die Schule dann begann, war es der erste Schritt deiner Unabhängigkeit. Schnell konntest du mir etwas vorlesen. Du hast begriffen, wie wichtig es ist zu wissen, wie viel Taler du bekommen musst, um dich wieder zum Eisladen zu stehlen. Auch ein aufgeschlagenes Knie konnte deine Lust am Leben nicht schmälern und  ich habe den Schmerz weg geküsst. Oft haben wir uns in die Kissen gepresst und gekitzelt, haben geschrien und gekichert.

Diese Bilder habe ich noch vor meinen Augen. Diese Augenblicke haben sich in meine Erinnerung eingebrannt. Und nun muss ich stark sein. Es ist Zeit für den Abschied. Auch wenn du nicht wirklich weit weg ziehst, auch wenn du mir immer versicherst, das du glücklich bist, auch wenn du sagst, dass dieses der ganz normale Weg ist, auch dann …ist es ein Abschied von mir. Es wäre gelogen, wenn ich darüber nicht traurig wäre, das meine Tränen nicht kullern werden, das meine Gefühle Achterbahn fahren. Aber ich bin auch stolz. Ich bin glücklich, das es dir gut geht und ich hoffe, so wird es auch bleiben. Ich muss dich loslassen. So wie alle andere Mütter es auch tun müssen. Und Väter. In der Hoffnung, das du das Nest mit heilen Flügeln verlassen kannst und das die Flügel dir auch immer so viel Schwung und Kraft geben, wie du dir das wünscht und zum Leben brauchst.

Eins kann uns keiner nehmen, diese Vertrautheit. Wenn die Sonne scheint, der Wind nur ein warmes Lüftchen ist, kein Wölkchen am blauen Himmel ist… sind wir wieder eins..

Deine Mama

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